Einmal das Leid der Welt zum Mitnehmen bitte

21.11.2022

‚Ich bin Waage. Der Mülleimer der Menschheit immer dazwischen stehend und alle ausgleichen und halten wollend‘ sagte ich zu ihm.

‚Sieh es als Recycling. Du nimmst, was sie dir geben und erschaffst Neues daraus.‘ antwortete er mir.

 

Mai 2022

Ich bin mir sicher, es gibt nicht viele Menschen, die nachvollziehen können, was ich meine. Wenn du einer davon bist, dann fühle dich gedrückt und verstanden, nimm jede einzelne Träne an – du bist nicht allein.

Mit 30 zurückblickend auf mein Leben habe ich einen Verdacht, der sich in Gewissheit wandelt: Ich bin der Abfalleimer der Menschen um mich herum. Ja, hört sich total nach Opferrolle an. Hasse ich selber.

Seit ich mich daran erinnern kann, kamen „Freunde“ zu mir, haben mir nach wenigen Worten bereits ihre Geschichte anvertraut, ihren Ballast bei mir abgeladen und sind weitergezogen.

Ich – als Vollempath – hab jede ihrer Geschichten aufgesaugt, all meine Bedürfnisse verdrängt und war für sie da. Die „Retterin“, die, die an deiner Seite steht und dich unterstützt. Klassisches Helfersyndrom, ja. Verlangt hatte ich dafür das, was für mich ganz selbstverständlich war: das, was ich gebe.

Ich dachte, wenn ich für die anderen da bin und sie verstehe, dann machen sie das auch bei mir. Für mich war das Fakt. Ich nehme ihre Wut auf, höre ihre Geschichte, trockne die Tränen, spende Trost und gebe ihnen die Umarmung, die sie so dringend brauchen. Ein wunderschönes Gefühl, weil es sich vertraut anfühlte. Die Menschen vertrauen mir, ich kann ihr Empfinden voll nacherleben und spüre diese tiefe Verbundenheit zu diesem Menschen.

Bis sie dann plötzlich aufstehen und gehen. Kein Fragen nach mir, kein Geschichte-anhören, kein mich-in-den-Arm-nehmen.

Ich hab lang gebraucht, um zu verstehen, was da passiert. Ja, vielleicht bin ich da ein bisschen in der Opferrolle. Aber soll ich dir was sagen? Ich hab es satt. Ich hab es satt, so zu tun, als würde ich nie eine Gegenleistung wollen. Als würde ich alles völlig uneigennützig machen. Nein, nichts davon. Ich hab es immer dafür getan, um die Vertraut- und Verbundenheit zu fühlen. Immer auf der Suche jemanden zu finden, der mich so akzeptiert wie ich ihn. Der mich annimmt, zuhört und nachempfinden kann – so wie ich es mache. Nix, nada.

Es hat sich wiederholt, am laufenden Band.

Ob Frauen oder Männer, beste Freundin oder entfernter Arbeitskollege. Nach wenigen Tagen haben sie abgeladen. Ich – total glücklich über das entgegengebrachte Vertrauen, hab ihre Seele aufgefangen wie einen Schatz, der umsorgt und behütet werden will. Mit dem Ergebnis, dass sie wieder gingen. Freunde haben mir den Rücken zugekehrt, nachdem sie sich befreit hatten, Kollegen hielten mich auf Distanz, nie zu tieferer Freundschaft bereit. Männer, ha, die Männer. Die kamen immer alle… für Sex, für Beziehung, je nachdem wie voll der Abfalleimer war. Bei mir wurden sie zum Kind, das seine Mutter sucht. Ausheulen, wieder fassen, um mir dann die kalte Schulter zu zeigen. Schlimmer noch.

Die, von denen ich dachte, da wäre es Ernst und sie verstehen mich – die kamen nur, um ganz tief auszuholen. Da gings dann ganz weit zurück, da wars dann die Mama, die ihn nie haben wollte, die Geschwister, die ihn unterdrückten und die Familie, die sie nie akzeptierte. Die landeten bei mir, da fühlten sie sich wohl, während ich immer tiefer in ihrem Schlamm versank und mich selbst nicht mehr fühlte.

Wenn du mir jetzt sagst, um da rauszukommen, musst du dich um dich kümmern lernen. Ja, tell me how. Ohne es selbst erlebt zu haben, wie willst du es mir zeigen? Ganz davon zu schweigen, dass dein eigenes Interesse daran nicht existiert. Auch du willst eigentlich nur deinen Ballast bei mir abladen. Ehrliche Hilfestellung ist das nie.

Weißt du, was ich dauernd höre, sobald ich einen Menschen kennenlerne? Das geht so: mir läuft jemand über den Weg, ich finde die Person super sympathisch und mein kleines Herzchen hüpft vor Hoffnung. Und dann sagen sie alle denselben Satz: Du bist so anders, so interessant.

Und dann gehen sie. Sie wollen kein anders. Sie finden es faszinierend, sie wollen baden, aber sie wollen nicht bleiben. Wie ein kurzer Besuch in der Therme. Keinen davon kann ich halten. Wenn ich es versuche, bin ich der Freak, die Klammernde, die, die abgewimmelt werden muss.

Ich kanns nicht mehr. Ich bin es Leid. Ich bin es Leid, so zu tun, als wäre ich glücklich. Als würde ich das alles gerne machen. Ich MÖCHTE mich auf mich fokussieren, ich will für keinen mehr da sein. Du verstehst nicht, ich TUE nichts dafür! Ich gehe auf die Menschen nicht zu. Sie kommen zu mir. Sie spüren meine Leere, sie spüren, dass ich mich nicht wehre und sie fangen an sich auszuleeren. Immer mehr und mehr in mich hinein. Und dann gehen sie. Ziehen zum nächsten, der nicht zuhört und sie nicht versteht, aber sie sind ja jetzt leer. Sie brauchen das jetzt nicht mehr.

Ich bin es Leid. Ich kann nicht mehr so tun. Ich mag nicht mehr hoffen, ich will nicht mehr an eine schönere Zeit glauben, ich will nicht mehr an die Menschen denken, die mich vielleicht irgendwann akzeptieren könnten. Ich will kein Spirituell und magisches mehr, kein Vertrauen in das Universum und keine Psychogeschwafel, ich würde mir das alles selbst erschaffen. Ich bin müde.

 

November 2022

Ein halbes Jahr und viele weitere Menschen sind seit jenem Text vergangen. Menschen, die mich tief verletzt haben, das ist gleich geblieben.

Was sich geändert hat, ist, wie ich damit umgehe. Ich habe erkannt, welche Wunden diese Menschen in mir treffen. Welche leeren Stellen sie anziehen und wie ich daraus wachsen kann. Dass genau dieses Hoffen, dieses gehört und akzeptiert werden wollen, sie wieder davon treibt.

Dass sie meine Verzweiflung spüren und sie mit ihrer eigenen Verzweiflung konfrontiert. Dass sie damit nicht umgehen können, da sie genauso schwach sind wie ich. Ich habe gelernt, dass ich das nehmen und für mich da sein darf.

Dass all die Menschen mir nichts Schlechtes wollen, sondern mir zeigen, wo meine Lücken sind. Dass ich genau diese Menschen nicht in meinem Leben brauche, weil sie nicht verlässlich sind. Weil sie selbst Wracks sind. Dass ich Menschen verdient habe, die mich so nehmen, wie ich bin, sobald ich selbst mich nehmen kann, wie ich bin.

Dass ich niemanden brauche, der mich akzeptiert, sobald ich mich akzeptiere.

Dass ich trotzdem für jeden dieser Menschen da sein darf, aber auch deutlich meine Grenzen zeige.

Dass ich sie nicht alles abladen lassen muss, sondern mich zurückziehen darf, wenn ich nicht mehr mag.

Dass ich Nein sagen darf.

Dass ich deswegen nicht weniger wert bin, wenn sie wieder gehen, sondern dass sie nicht bereit waren für mich. Oder ich für sie.

Dass ich nicht für andere da sein muss, sondern nur für mich. Dass jeder für sich selbst verantwortlich ist und es nichts mit mir zu tun hat, wenn sie gehen. Dass sie manchmal meiner Direktheit nicht standhalten können, weil es sie noch zu sehr schmerzt.

Oder sie nur für eine kurze Lernaufgabe da waren, um mir zu zeigen, wie stark ich bin.

Wehtun darf es trotzdem.

27. Nov 2022

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Hi, ich bin Nadin

… und ich liebe, was tief ins Herz trifft.

Rhetorik, K-Dramas und K-Pop, leben zwischen Tränen und Lebensfreude

Ich verliere mich gerne in die Fantasiewelt in meinem Kopf, habe eine perfide Faszination für die menschlichen Abgründe, ziehe Tiere meist Menschen vor und lese gerne all das von Menschen ab, was sie nicht aussprechen.

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Gedanken. Gedichte. Gefühle.